Im
Fantôme Verlag Berlin erschien 2022 die erweiterte,
zweite Ausgabe des Buches »Hi
Schatz!« von Martin Eberle
(Fotografien) und Heinrich Dubel (Psycholinguistische
Miniaturen), das nach seinem ersten Erscheinen im Jahr 2019
schnell vergriffen war.
Ergänzt um eine Flexi Disc, auf der
Heinrich Dubel den titelgebenden Brief »Hi Schatz!«
liest, und um 16 Seiten erweitert (darin auch erstmalig alle
Songtexte der Band Jeans Team aus den Jahren
von 1997 bis 2006), wird das Buch auch für glückliche
Besitzer der ersten Auflage interessant sein.
Hörprobe (Flexi Disc):
Heinrich
Dubel liest den Brief "Hi Schatz"
Die Fotografien des Buches »Hi Schatz!« von Martin
Eberle sind zwischen 1997 und 2009 entstanden. Sie dokumentieren
Berlin genauso wie die Stadt damals – jenseits aller
offiziellen Projektionen – tatsächlich war: unfertig,
provisorisch, kaputt, übriggeblieben, frei, fantastisch.
Vor allem funktioniert der öffentliche und halböffentliche
Raum der Stadt in dieser Zeit auch als Träger informeller
Kommunikation – Zettel, die irgendjemand irgendwo hinhängt.
Ein Liebesbrief, der verloren geht. Flyer, die weitergegeben
werden. Jemand sprüht etwas an eine Wand. Die alltägliche
und kaum mehr bewusst wahrgenommene Oberfläche der Stadt
wird zur Folie privatester Minibotschaften, eigenwilliger
Designlösungen oder nackten Irrsinns. Vieles davon ist
ohne Insiderwissen, sei es durch Kunstverstand oder Milieukenntnis,
nicht zu entschlüsseln. Deutlich wird jedoch immer eine
ungezähmte Gestaltungskraft, die sich die Stadtlandschaft
nimmt und ihr eine eigene Interpretation verpasst. Nischen
und Brachflächen werden besetzt, verändert und für
die eigene Nachricht oder einen Witz genutzt.
Die Fotografien dieser Aneignungen lassen das Berlin dieser
Jahre nochmal auferstehen, sie zeigen die Großstadt
persönlich, schmutzig, verletzlich, emotional, die vielen
Nischen und verlorenen Ecken, den ganzen Wahnsinn. Martin
Eberle hat sich zu einer ähnlichen Thematik auch bereits
mit seinem Band »Temporary Spaces« (Gestalten
Verlag) profiliert.
Ergänzt wird »Hi Schatz!« durch Kurztexte
von Heinrich Dubel, sogenannten psycholinguistischen Miniaturen
des Alltagslebens, die unter dem Begriff »Stimmen hören«
subsumiert werden können. Es sind Textfragmente und Mitgehörtes
aus dem öffentlichen Raum, das erinnert und aufgeschrieben
ein besonderes Hintergrundgeräusch dieser Großstadtabbildung
ergibt.
»Als das Chaos noch nicht aufgebraucht war«, schrieb
Gunnar Lützow in der »Berliner Zeitung« über
diese Sammlung von Fotografien, die in der großstädtischen
Verwirrung auf kommunikative und tatsächliche Unfälle
schauen und darauf, wie die Botschaften ihren Weg finden,
während Dubel auf die Stimmen der Stadtbewohner lauscht.
Es ist auch der Blick auf eine Zeit, die vielleicht als ungeordneter
und reicher an Möglichkeiten erlebt wurde.
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english version:
The photographs in Martin Eberle's book "Hi Schatz!"
were taken between 1997 and 2009. They document Berlin exactly
as it actually was back then – beyond all official projections:
unfinished, provisional, run-down, remaining, free, fantastic.
Above all, the public and semi-public spaces of the city at
that time also function as carriers of informal communication
– slips of paper that someone hangs somewhere, a love
letter that gets lost, flyers that are passed on, something
someone sprays on a wall. The everyday and no longer consciously
perceived surface of the city becomes a foil for the most
private mini-messages, idiosyncratic design solutions, or
sheer insanity. Much of it cannot be deciphered without insider
knowledge – or, more exactly, without being art savvy
or familiar with the social environment. Always obvious, however,
is an untamed creative force that appropriates the urban landscape
in terms of an own interpretation. Niches and empty spaces
are occupied, altered, and utilized to convey one's own message,
or a joke.
The photographs of these appropriations resurrect the Berlin
of those years and portray the city as personal, dirty, vulnerable,
and emotional, showing its many niches and lost corners, and
the whole craziness of it. Martin Eberle has already made
a name for himself by dealing with a similar subject in his
book "Temporary Spaces" (Gestalten Verlag).
"Hi Schatz!" is supplemented by Heinrich Dubel’s
so-called psycholinguistic miniatures of everyday life, short
texts that can be subsumed under the catchphrase "hearing
voices." They consist of text fragments and utterings
seen or overheard in public places – and provide, written
down from memory, a special "background noise" to
Eberle‘s portrait of a big city. |