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Fantôme Verlag

VERLAGSPROGRAMM  
MaasMedia Vol. 09

Hermann Ungar
Die Verstümmelten


Seiten: 150
Format: 13 x 21 cm


ISBN: 978-3-940999-06-1
€ 12.50
ausverkauft / sold out

Der Bankangestellte Franz Polzer, gefangen in einer kalten Arbeitswelt, ist dem Fatalismus ergeben und auf ein bloß vegetatives Dasein zurückgeworfen. Einzigen Halt findet er im Streben nach Ordnung und Sicherheit als Schutz gegen die als feindlich und unberechenbar erkannte Umwelt. Nur die Vorhersehbarkeit eines jeden Tages läßt ihn das Leben ertragen. Die Welt ist sein innigster Feind. Die Angst vor jeder Veränderung hat ihn in die Arme seiner Hauswirtin, einer verblühten Witwe getrieben, die sich seine Phobien zunutze macht und ihn bis zur körperlichen Vergewaltigung in Besitz nimmt.
Es löst sich ein Erdrutsch aus Ausweglosigkeit,
religiösem Fanatismus, Geldgier und kruder Sexualität, der alle unter sich begräbt.

Presse:
M. Pujmanová-Hennerová in der "TRIBUNA", Prag, 1923
"Der Leser vergißt, Erwägungen anzustellen über Zweckmäßigkeit und Wichtigkeit der Literatur, weil hier von neuem etwas geschaffen ist, das lebt."

Hermann Ungar bei Wikipedia
Zum Autor:
Hermann Ungar starb 1929 im Alter von 36 Jahren in Prag. Die kurze Zeit seines Schaffens, die literarische Überproduktion seiner Zeit und der nachfolgende Nationalsozialismus förderten den Prozess des Vergessens seiner literarischen Hinterlassenschaft unter den Ereignissen seiner Nachzeit, deren Grundsubstanz er realistischer und unverblümter als viele andere beschrieben hatte.
Leseprobe:
 
,,Dort liegt das Päckchen," sagte Polzer.
,,Welches Päckchen liegt dort, Polzer, ich kann es nicht sehen. Bringe es her, Polzer, das Päckchen!"
Polzer stand auf und brachte es.
,,Der Pfleger nimmt es zu den Konventikeln mit," sagte er. ,,Laß sehen, was es enthält, Polzer!"
Polzers Hände zitterten, als er das Papier auseinandernahm. In diesem Augenblick öffnete sich leise die Tür und der Pfleger trat ein. Polzer erschrak. Seine Hände ließen das halbgeöffnete Päckchen zu Boden fallen. Eine weiße, blutgefleckte Schlächterschürze hatte sich entrollt. Daneben lag Sonntags Metzgermesser am Boden.
Sonntag bückte sich und hob Messer und Schürze vom Boden auf.
,,Frisches Blut," sagte Karl Fanta tonlos.
,,Das ist das letzte Blut," sagte der Pfleger. Seine Stimme war tief, ruhig und eintönig wie immer.
,,Was soll das alles, oh Gott, was soll das?" fragte Karl. Sein Kopf war zurückgefallen, die Augen waren halb geschlossen. ,,Ich habe diese Schürze getragen, als ich zum letztenmal ein Kalb schlug. Ich habe sie nicht gewaschen und so aufbewahrt. Nun habe ich alles für die Zusammenkünfte zurechtgelegt," sagte der Pfleger. ,,Das Blut liegt an meiner Brust und das Messer schlägt meine Schenkel. So habe ich die Macht, Christus zu sagen. Denn es ist keine andere Sühne, als seine Sünde nochmals auf sich zu nehmen, denn es ist nicht zu Ende. Wenn ich die Schürze trage und das Messer, bin ich wieder Metzger wie einst, nur wissend um meine Schuld. Es ist uns nicht gegeben, unsern Weg und unsere Sünde zu verlassen. Im Geiste erdulde ich solchergestalt immer wieder die Tat, deren ich schuldig bin, und so, Christus im Herzen, Reue, Demut und Scham,
sühne ich sie in der Erniedrigung, sie trotz allem gleichsam wieder zu tun."
Er rollte das Messer in die Schürze.
,,Der Anblick von Blut und Messer stärkt uns allen die Bereitschaft. Ich stehe da, demütig zur sündigen Tat bereit, die mir gesetzt ist, das Messer in der Hand. Die Frauen sehen es an. Sie sprechen nicht. Und auch ich spreche wenig. Sie sehen Blut und Messer und sie wissen um den Schmerz der Märtyrer. Ich prüfe die Schärfe des Stahls. Es ist das Messer des Todes."
,,Was geschieht?" fragte Karl. Sein Gesicht war bleich. Er sah gespannt den Pfleger an.
,,Wir sehen die Krone des Todes und erniedrigen uns voreinander."
,,Auch Dora?"
,,Ich versage ihr die Ehrfurcht nicht. Denn sie ist Ihre Gattin, Herr Fanta. Sie ist eine hochmütige Frau, voll Trotz und Stolz. Ihr Körper ist durch Bäder verwöhnt. Aber die Zeichen wecken sie. Sie demütigt sich, indem sie dient. Sie reicht stehend den kargen Imbiß denen, die ärmerer Herkunft sind. Viele Leiden und Erniedrigungen sind noch für sie da, für sie alle und auch für mich."
Er nahm das Päckchen und verließ das Zimmer. Karl atmete schwer.
,,Sie sind irrsinnig, Polzer," sagte er leise, ,,alle sind irrsinnig. Das Messer spukt in allem. Ich glaube, daß er sie mit dem Messer quält. Polzer, Polzer, am Ende ist das Blut Blut von besonderen Kälbern. Aber sie müßten ja Wundmale haben! Polzer, Frau Porges hat keine Male, sage nichts, schweig, ich weiß es, ich will dir sagen, daß ich es weiß, aber schweig darüber, laß es mir, Polzer, ich weiß es, sie hat keine Male. Von Dora weiß ich es nicht. Der Pfleger ist immer da, wenn sie bei mir ist. Aber ich will wissen, von welchen Kälbern dieses Blut ist ..."